Unternehmens­kommunikation in der Wikipedia

Die Wikipedia ist mit ihren über 50 Millionen Artikeln in allen Sprachen eine der zentralen Informationsquellen im Internet. Darüberhinaus symbolisiert die Wikipedia das Internet mit all seiner Dynamik, Chancen, Widersprüchen und Herausforderungen wie in einem Brennglas. Gemeint ist das Internet als System vernetzter Rechner, das es jedem engagierten, gutwilligen Nutzer erlaubt, an einer guten Sache mitzuarbeiten. Im Fall der Wikipedia: Seine Expertise und Arbeitszeit einzusetzen, um Weltwissen zusammentragen und der Menschheit bereitzustellen. Allerdings verkörpert die Wikipedia gleichzeitig die Herausforderungen, die sich aus dieser Vernetzung und Offenheit ergeben: Streit um Einträge, endlose Diskussionen um Verfahrensfragen, verhärtete Fronten, Ad-hominem-Attacken, komplexe Regularien. In diesem Spannungsfeld muss Unternehmenskommunikation behutsam und unbedingt regelkonform agieren. Denn, und das ist an sich bereits die gute Nachricht: Unternehmenskommunikation in der Wikipedia ist nicht nur nötig sondern auch möglich.

Ist die Wikipedia relevant?

 

Die Relevanz der Einträge bei Wikipedia muss als hoch eingeschätzt werden. Diese Sichtweise leitet sich aus mehreren Faktoren ab, mit denen sich die Relevanz von Online-Publikationen bewerten lässt und bei denen die Wikipedia jeweils hervorragend abschneidet.

Zum einen ist hier ganz simpel die Reichweite zu betrachten, die Frage also, wie oft eigentlich Beiträge in der Wikipedia abgerufen werden. Man kann feststellen: Oft. Im Folgenden zur Illustrierung Abrufzahlen des 1. Halbjahr 2021. Alle Unternehmen sind im TecDax gelistet.

  • SAP 217.400
  • Deutsche Telekom 108.000
  • Infineon 74.400
  • Varta AG 58.600
  • Bechtle AG 27.200

Grob gesagt haben offenbar Unternehmen, die sich im B2C-Markt oder zumindest in einem breiten Nutzerportfolio (z.B. SAP) bewegen, mehr Traffic auf der jeweiligen Wikipedia-Seite als Unternehmen, die wie Bechtle auf B2B orientiert sind. Über 1.000 Abrufe pro Tag wie bei SAP sind sicherlich ein Pfund…

Zum anderen entscheidet die Glaubwürdigkeit über die Relevanz. Dieses Kriterium entzieht sich statistischer Messbarkeit und es wird daher kompliziert. Ausgehend von der These, dass eine Fakten hinzufügende und prüfende Freiwilligenarmee (Schwarmwissen) das Risiko von Falschaussagen zumindest stark reduziert, müssen die tatsächlichen Ergebnisse professionell beurteilt werden. Auf der Basis einschlägiger Studien kann man sagen: In der Wissenschaftscommunity ist die Akzeptanz von Wikipediaartikeln offensichtlich höher als in Journalistenkreisen. Gravierende Fehler wurden bisher noch nicht gefunden und polarisierende Einträge sind relativ selten. Insbesondere die strengen Nachweispflichten sichern die Qualität und damit die nach wie vor hohe Glaubwürdigkeit der präsentierten Inhalte beim Publikum.

Zuletzt zahlt ein weiteres Kriterium auf die Relevanz ein, das die Öffentlichkeit wenig interessiert und bei Wikipedianer:innen eher unbeliebt ist: Die Wikipedia verfügt über erhebliche SEO-Power. Das Nachschlagewerk zählt bei den Suchmaschinen zu den zuverlässigsten Webseiten. Links auf externe Angebote werden daher als Verweise auf geprüfte Inhalte verstanden.

In allen drei Relevanzkriterien schneidet die Wikipedia also hervorragend ab. Das bedeutet für Unternehmen: Man kann das Treiben dort nicht ignorieren. Viele Nutzer:innen lesen die Beiträge und vertrauen dem dort Verfügbaren nahezu ungeprüft. Unternehmen, die ihr Bild in der Öffentlichkeit und die damit verbundene Reputation im Auge behalten wollen oder müssen, kommen daher zumindest um ein Monitoring nicht herum. Ob sich daraus notwendige Aktivität ableiten lässt, muss im Einzelfall entschieden werden.

Zwischenruf: Der gereizte Ton

Die unbestrittene Relevanz der Wikipedia ruft natürlich SEO-Berater, PR-Agenturen oder Marketingabteilungen auf den Plan. Es ist zu vermuten, dass es daher jeden Tag viele hundert Versuche gibt, die Wikipedia in einem Sinne zu manipulieren, der den Zielen und Werten der Wikipedia zuwiderläuft: Löschung ungeliebter Passagen, werbliche Beiträge, Einbau von Links, irrelevante Einträge – all das entspricht nicht den Regeln der Wikipedia. Das ständig und immer wieder zu eliminieren nervt gewaltig. Daher ist es zumindest nachvollziehbar, dass die Community der Wikipedia-Macher:innen inzwischen ungeduldig ist und unerbittlich. Verloren geht in der kompromisslosen Haltung oft die Differenzierung. Denn außer den Profis sind da ja auch noch nervige Fanboys/girls und Ideologen, die die Wikipedia als Plattform für ihre Wahrheiten auserkoren haben. All diese “Störungen” werden in einen Topf geworfen und wertvolle Arbeit per se diskreditiert.

Die 4 Grundregeln der Unternehmenskommunikation in der Wikipedia

 
  1. Ohne Relevanz kein Eintrag
    Nicht jedes Unternehmen hat einen “Anspruch” auf einen Eintrag in der Wikipedia. Der Begriff steht deshalb in Anführungszeichen, weil es weder moralisch noch faktisch auf irgendetwas in der Wikipedia einen Anspruch gibt; ausgenommen natürlich straf- oder zivilrechtlich justitiable Vorgänge, die wir hier mal außen vorlassen. Vielmehr hat die Wikipedia selbst umfangreiche Relevanzkriterien entwickelt.
    Ob ein Unternehmen Eingang in die Wikipedia findet, hängt im Wesentlichen von seiner Größe ab – ab 1000 Mitarbeiter:innen oder 100 Mio Jahresumsatz oder 20 Zweigstellen oder börsennotiert. Des weiteren wurde das Kriterium der “marktbeherrschenden Stellung” eingeführt. Daneben finden sich für viele Branchen gesonderte Kriterien, z.B. bei Weingütern eine Auszeichnung durch die größten Weinführer. Ein frisch gegründetes StartUp hat also erstmal keine Möglichkeit, sich einen Eintrag zu verschaffen.
  2. Neutralitätsgebot: Werbliche Sprache unerwünscht
    Die Wikipedia versteht sich als neutrale Wissensplattform. Deshalb haben werbliche, schönfärbende Aussagen dort nichts zu suchen – zu recht. Natürlich kann es zuweilen schwierig werden, Inhalte abzugrenzen. Aber eigentlich ahnt doch jeder, was gemeint ist. Wenn z.B. ein Unternehmen Software oder Dienstleistungen im Bereich IT anbietet, dann sollten die genau beschrieben und nicht pauschal als “zukunftsweisende Technologien” bezeichnet werden. Ob ein Unternehmen mit seinen Aktivitäten in die Zukunft weist – das kann heute niemand sagen. Es ist kein Fakt.
  3. Belegstellen: Nachweise notwendig
    In der Wikipedia gibt es genug Platz, um auch den kleinsten Informationshappen mit einer Fußnote zu unterfüttern und damit den Wahrheitsgehalt zu belegen. Diese Belegstellen müssen glaubwürdig und neutral sein. Die höchste Wertschätzung genießen dabei die großen Medienhäuser. Wenn also SPIEGEL/WELT/FOCUS einem Unternehmen z.B. Marktführerschaft in der XYZ-Branche attestiert, dann kann das Eingang in die Wikipedia finden. Wenn man das nur durch eigene Publikationen zu belegen versucht, dürfte es wieder rausfliegen, selbst wenn es stimmt.
  4. Transparenz: Das Problem des “bezahlten Schreibens”
    Da sich wie beschrieben für viele Unternehmen die Notwendigkeit ergibt, an der Wikipedia mitzuarbeiten, weil die Einträge veraltet sind und sich sonst niemand darum kümmert, stellt sich als nächstes die Frage: Wer kann das operativ umsetzen? Wer entwickelt Texte, die den Kriterien entsprechen, und kann diese dann gemäß der Wikipedia-Systematik einbauen? Hier greifen Unternehmen zuweilen auf professionelle Unterstützung zurück, da eigene Expertise fehlt. Dieser Umstand wird in der Community mit Argwohn betrachtet: Der eigene moralische Anspruch, der aus der ehrenamtlichen Tätigkeit abgeleitet wird, ist hoch. Dass jemand für diese Tätigkeit bezahlt wird, ist offenbar in den Kreisen der Wiki-Admins prinzipiell anrüchig.
    Im Mai 2021 hat sich die Wikipedia daher eine Art Leitfaden für “bezahltes Schreiben” gegeben. Darin wird neben allgemeinen Forderungen an die Inhalte Transparenz verlangt: Der Umstand, dass jemand von einem Auftraggeber für seine Tätigkeit vergütet wird, soll einfach nachvollziehbar sein. Das wird über mehrere Mechanismen erreicht. Bezahlte Schreiber sollen sich verifizieren lassen, vor allem wenn sie vorgeben, für Unternehmen zu sprechen. Änderungen sollen den Hinweis enthalten, dass sie im Auftrag vorgenommen wurden und einiges andere mehr. Als Unternehmen sollte man sich also bewusst sein, dass ein systemkonformes Mitarbeiten an der Wikipedia verlangt, dass diese Mitarbeit transparent wird, zumindest auf den 2. Klick.

 

Warnung! 5 Dinge, die man als Unternehmen in der Wikipedia unbedingt unterlassen sollte.

Generell gilt: Im Internet ist Anonymität letztlich ein sehr aufwändig herzustellender Zustand, den nur technisch Versierte wasserdicht bewerkstelligen. Alle anderen müssen immer damit rechnen, dass Versuche des Astroturfing zum Scheitern verurteilt sind und böse enden können. Lügen haben kurze Beine – das gilt auch im Internet. Deshalb sollte man nicht davon ausgehen, dass die Autorschaft folgender Handlungen unentdeckt bleibt.

  1. Wettbewerber mies machen
    Davon abgesehen, dass sich niemand zu schade sein sollte, derartige Anstrengungen zu unternehmen, ist es auch verboten – Stichwort: Wettbewerbsrecht. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, aber selbstverständlich gelten ganz allgemein alle anzuwendenden rechtlichen Regelungen, die sich auf Unternehmen und deren Kommunikation beziehen, auch in der Wikipedia.
  2. Unliebsames löschen
    Wie handelt man, wenn in der Wikipedia Dinge auftauchen, die man lieber nicht dort sehen möchte? Eines ist klar: Sollte der Eintrag den Wikipedia-Regelungen gehorchen – neutral formuliert, faktenbasiert, seriös belegt – ist Löschung ausgeschlossen. Meines Erachtens besteht die einzige Möglichkeit dann in dem Versuch, die eigene Sicht auf die Dinge darzulegen und somit dem Leser die Gelegenheit zu geben, ein differenziertes Bild der Sachlage zu entwickeln.
  3. Weißwäscherei
    Da davon auszugehen ist, dass in den von Idealisten geprägten Kreisen der Wiki-Admins generell gewisse Vorbehalte gegen Unternehmen und insbesondere deren Kommunikation vorherrschen, stoßen unternehmenskritische Anmerkungen auf ein gewisses Wohlwollen. Bemühungen von Unternehmen hingegen, durch gesellschaftliches Engagement das vermeintlich schlechte Image zu polieren, werden eher kritisch gesehen, bzw. schnell mangelnde Glaubwürdigkeit unterstellt. Erwähnungen von Charityaktionen oder auf den Klimaschutz einzahlende Produktinnovationen sollte daher nur vorsichtig eingeflochten werden.
  4. Community verschrecken
    Über das Wohl und Wehe von Wikipedia-Einträgen entscheiden letztlich mit besonderen Rechten ausgestattete Nutzer:innen. Diese Meritokratie der Wiki-Administrator:innen ist schwierig zu durchschauen, weil die meisten Pseudonyme nutzen. Ihre Macht ist groß, ihre Urteile oft apodiktisch und kompromisslos. Argumentieren hilft hier wenig. Wer zum Ziel kommen will, kann hier nur mit Demut und sachbezogen agieren. Rundumschläge, Aktionen ad hominem oder wüste Beschimpfungen helfen nicht, sondern verschrecken die Community, machen schlechte Laune und führen nur zu Starrsinn. Das Ergebnis kann dann nicht zielführend sein.
  5. Alles neu
    In der Wikipedia vorhandene Inhalte sind im Prinzip sakrosankt. Sie wurden mehrfach geprüft und gelten somit als Wahrheit. Der Schwarm hat gesprochen. Wer also seinen Eintrag, so schräg er auch sein mag, komplett eliminiert und durch einen neuen in seinem Sinne ersetzt, wird damit scheitern. Mehr Erfolg versprechend ist daher die Strategie, vorhandene Texte stückweise zu optimieren. Nach jeden Arbeitsschritt kann zunächst die Reaktion der Community beobachtet werden. Dann ist zu entscheiden, wie weiter verfahren wird. Steter Tropfen höhlt den Stein … eben statt Flutung.

Spezialthema: Bildmaterial

Neben Text enthält die Wikipedia auch Bilder und Grafiken. Da das gesamte in der Wikipedia veröffentlichte Material prinzipiell mit einem gemeinfreien Verwertungsrecht lizensiert wird, ergeben sich bei Bildmaterial daraus Schwierigkeiten. Meistens liegen die Urheberrechte von Bildmaterial bei externen Fotografen oder Grafikdesignern (z.B. im Falle des Logos). Diese übertragen die Verwertungsrechte zwar vollumfänglich an den Auftraggeber. Dass eines ihrer Werke allerdings als lizenzfreies in der Wikipedia bereitgestellt, geben die Verträge vielleicht nicht her. Deswegen ist es ratsam, hier die Urheber nochmals einzuschalten und entsprechend zu informieren.

Fazit: Regeln einhalten, Vorsicht walten lassen

Unternehmen können sinnvoll an der Wikipedia mitarbeiten. Man kann allerdings eher selten damit rechnen, von der Wiki-Community mit offenen Armen empfangen zu werden. Eher ist mit Hindernissen und grummeligen Zähneknirschen zu rechnen. Daher gilt: Regeln einhalten und behutsam agieren.

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